Chronik

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„Selzthal aber ist kein Bahnhof wie andere, Selzthal ist ein Ereignis, Selzthal erklärt vieles was an Österreich anmutet.“

Hans Weigel

So wie viele andere kannte der Wiener Schriftsteller Selzthal vor allem als neuzeitlichen Verkehrsknotenpunkt. Tatsächlich führen die Hinweise auf menschliches Leben und Wirken in unserer Region bis weit in vorchristliche Zeiten zurück. Illyrer und Kelten, Römer und Slawen haben in der näheren Umgebung ihre Spuren hinterlassen. Die eigentliche Geschichte Selzthals beginnt 1074 mit der Gründung des Klosters Admont. Dabei findet sich die erste Nennung des Ortsnamens als „Ediltscach“, womit das Gebiet des unteren Paltentales bis zu seiner Einmündung in die Enns bezeichnet wurde. Der Name selbst wird von den slawischen Begriffen „sedlce“ (Ansiedlung, Dorf) oder „sedlo“ (Sattel) hergeleitet.

Da der sumpfige Talboden keine Besiedelung zuließ, machten sich bayrische Kolonisten daran, die Hänge des Dürrenschöberl zu roden und zu bebauen. Vulgonamen wie Neureiter und Asinger weisen auf ihre Tätigkeit hin. Bis ins 13. Jahrhundert war dieser Prozess weitgehend abgeschlossen. Der Bestand von 21 ursprünglich vorhandenen Höfen, durchwegs admontische Untertanen, blieb bis zum Eisenbahnbau nahezu unverändert. Das Leben der Bergbauern war durch Jahrhunderte vom grundherrschaftlichen Untertänigkeitsverhältnis und harter Arbeit bestimmt. Der Lauf der Weltgeschichte berührte sie wenig.

Nur selten drangen Künder größerer Ereignisse in unsere Gegend vor. 1480 gelangten türkische Streifscharen sengend und plündernd bis unter die Mauern der Feste Strechau. 1525 erhoben sich die bedrückten Bauern des Ennstales gegen ihre Grundherren und erstürmten die zum Schutz des Stiftes Admont errichtete Selzthaler Klause. Vom Aberglauben jener Epoche kündet das Schicksal einer Anna Paltauf aus dem „Zelzthal“, die 1540 als vermeintliche Hexe in der Enns ertränkt wurde. Gefördert durch die Herren von Hoffmann auf Strechau fand die neue lutherische Lehre damals großen Zulauf unter den Bauern der Umgebung, bis ihre Ausübung mit Waffengewalt unterbunden wurde.

Für lange Zeit wissen nun die Quellen nur wenig zu berichten. Das Selzthal erscheint hauptsächlich in Verbindung mit seiner jagd- und forstwirtschaftlichen Nutzung durch die Admonter Stiftsherren. Bedeutsam wurden schließlich die von Kaiserein Maria Theresia veranlassten Volkszählungen im 18. Jahrhundert. Um die Rekrutierung zu erleichtern wurden 1770 Werbbezirke und Konskriptionsgemeinden eingerichtet. Zur Gemeinde Versbichl zählte auch das Ried „Zelzthal“ mit 27 Häusern. Ihre Bewohner hatten während der Napoleonischen Kriege unter der Last durchziehender Truppen und hoher Steuern schwer zu leiden.

In den darauffolgenden Friedensjahren konnte endlich an eine Regulierung der Palten geschritten werden, deren alljährlich wiederkehrende Hochwässer eine stete Sorge der Bevölkerung gebildet hatten. Der 1827 vom Rottenmanner Eisenindustriellen Pesendorfer aufgenommene Torfabbau im Gampermoos eröffnete vielen Einheimischen eine neue Einnahmequelle. Als man in den 1860er Jahren auch der Enns einen neuen Verlauf aufzwang, waren die Voraussetzungen für die Weiterführung der Kronprinz-Rudolf-Bahn von St. Michael – Rottenmann durch das Gesäuse geschaffen. 1872 ging der Streckenabschnitt Selzthal – Weyer in Betrieb. Von da an entstand der heutige Ort Selzthal.

Die zahlreichen Bahnbediensteten ließen die Bevölkerungszahl innerhalb weniger Jahre sprunghaft ansteigen. Bereits 1874 wurde eine einklassige Volksschule eröffnet. Alsbald konstituierte sich ein Kirchenbauverein, der 1892 zur Einweihung der neugotischen Herz-Jesu-Kirche laden konnte. Gleich Pilzen schossen in den folgenden Jahrzehnten die Häuser aus dem Boden. Der geänderten Bedeutung der einzelnen Ortsteile Rechnung tragend, wurde 1903 der Gemeindename in „Selzthal“ abgeändert. Die 1906 fertiggestellte Bahnverbindung durch den Bosrucktunnel nach Linz und das gesteigerte Verkehrsaufkommen machten in den Jahren bis 1912 den Bau eines modernen Inselbahnhofes notwendig. Ein weiteres Indiz für die Verselbständigung des Ortes ist die Errichtung einer eigenen Pfarre im Jahre 1914.

Der Erste Weltkrieg unterbrach diese vielversprechende Entwicklung und forderte einen hohen Blutzoll von der jungen Gemeinde. Das ungeordnete Zurückströmen hunderttausender demobilisierter Soldaten stürzte den Ort und Bahnhof Ende 1918 in ein heilloses Chaos. Die Folgezeit war geprägt von materieller Not, Arbeitslosigkeit und sich verschärfenden innenpolitischen Gegensätzen. Während der sozialdemokratischen Erhebung im Februar 1934 blieb es in Selzthal weitgehend ruhig. Dagegen lieferten sich im Juli desselben Jahres nationalsozialistische Putschisten aus der Umgebung und die Exekutive ein heftiges Feuergefecht. Als 1938 der „Anschluß“ Österreichs an das Deutsche Reich vollzogen wurde, erhoffte sich auch hier so mancher eine Besserung der tristen wirtschaftlichen Verhältnisse.

Doch schon bald mussten Einheimische an allen Fronten Kriegsdienst leisten. Die Bewirtschaftung von Lebensmitteln und Gebrauchsgütern traf die Selzthaler Arbeiterschaft wesentlich härter als die agrarisch strukturierten Gemeinden der Umgebung. Widerstand begann sich unter den Eisenbahnern zu regen und forderte ein Todesopfer aus ihren Reihen. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges rückte der von Flüchtlingen und Militär überfüllte Bahnknotenpunkt in das Visier der alliierten Luftstreitkräfte. Ein Bombenangriff am Ostersonntag 1945 kostete mindestens 70 Menschen, zum Großteil Zivilisten, das Leben. Eine Reihe von Umgemeindungen bescherte der Gemeinde Selzthal in dieser Zeit ihre heutigen Grenzen

Die Jahre nach Kriegsende standen ganz im Zeichen des Wiederaufbaus und der Schaffung von Wohnraum. Durch den sukzessiven Ausbau der Infrastruktur hob sich allmählich die Lebensqualität der Einwohnerschaft. Die Elektrifizierung der Strecke Selzthal – Schladming leitete 1959 eine neue Ära im Verkehrswesen ein. Die Zeit der verrußten Häuserfassaden ging freilich erst nach der Fertigstellung der elektrifizierten Gesäusestrecke im Jahre 1970 zu Ende. In die jüngste Vergangenheit fällt der Bau des neuen Zentrallstellwerkes, wodurch der Ort ein neues, weithin sichtbares Wahrzeichen erhielt.

Wie schon bei seiner Entstehung ist Selzthal auch heute noch augenfällig mit dem Eisenbahnwesen verbunden. Seine Entwicklungen und Veränderungen bestimmen nach wie vor das Leben der Ortsbewohner.

(Literatur: Gerhard Riedl, Entlang der Enns 2 – Hermann Trattner, Selzthal – Franz Wohlgemuth, Geschichte der Pfarre Gaishorn und des Paltentales.)

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